Macht und Stimmrechte im Deutschen Boxsportverband
Kommentar von Hüseyin Demir
Aus meiner Erfahrung ist für den Hessischen Boxverband und andere Landesverbände (LV) die Satzung des Deutschen Boxsportverbandes (DBV) seit vielen Jahren in Teilen eine große Herausforderung. Vor allem dann, wenn es um grundsätzliche Machtpositionen und Entscheidungen geht (z.B. Wettkampfbestimmungen, Vorstand, Nominierungen, etc.).
Das liegt fast ausschließlich an dem folgenden recht unschönen Passus in der DBV-Satzung (§20), den es bereits seit gefühlten Ewigkeiten zu geben scheint:
„Jedes ordentliche Mitglied hat auf dem Kongress so viele Stimmen wie Mitgliedsvereine.“
Demnach entscheidet allein die Anzahl der Vereine eines DBV-Mitglieds (Landesverbandes) über die jeweilige Anzahl der Stimmrechte. Dies hat dazu geführt, dass seit vielen Jahren die drei Landesverbände Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern im DBV zusammen die Macht dazu haben, fast alles unter sich entscheiden zu können. Damit noch nicht genug, werden diese dadurch auch regelmäßig in den Vorstand des DBV gewählt und haben somit weiteren massiven Einfluss auf fast alle Angelegenheiten des DBV.
Ein Landesverband hat also so viele Stimmrechte wie Boxvereine (Abteilungen) auf eigenem Gebiet – zumeist ein Bundesland. Das heißt, dass in einem dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zugehörigen Spitzenverband, das eigentlich basisdemokratisch zu sein hat und durch den Staat finanziell unterstützt wird, die „restlichen“ 14 Landesverbände unter Umständen kaum Einfluss auf wichtige Entscheidungen haben können, selbst wenn es um die Wahl des DBV-Präsidenten -und Vorstandes geht.
Die größten Landesverbände des DBV und Anzahl der Vereine:
(Stand Okt. 2017, komplette Liste siehe ganz unten)
1. Nordrhein-Westfalen: 177 Vereine
2. Bayern: 114 Vereine
3. Baden-Württemberg: 108 Vereine
4. Niedersachsen: 81 Vereine
= 480 von insgesamt 874 Vereinen
Es dürfte nachvollziehbar sein, dass, je größer die Einwohnerzahl in einem Bundesland ist, naturgemäß dort auch mehr Boxvereine existieren. Laut Statistiken des Bundes und aus der positiven Korrelation zwischen Anzahl Vereine und Einwohnerzahl ergibt sich auch bei der Rangfolge der Einwohnerzahlen exakt die oben genannte Reihenfolge.
Durch ihre satzungsmäßige „Stimmenmacht“ können diese vier Landesverbände wesentliche Geschickte des DBV und der LV bestimmen. Auch die Wahl des Präsidenten und der Vorstände im DBV. Eine Kollision von Interessen ist hier durchaus vorstellbar. Was in der Politik nicht toleriert wird (z.B. Bundesminister darf kein Landesminister sein), ist beim DBV kein Problem. Aktuell haben die vier größten Landesverbände nicht nur die meisten Stimmrechte, d.h. eine absolute Mehrheit, sondern besetzen auch wichtige Posten im DBV-Vorstand.
Der (geschäftsführende) DBV-Vorstand und jeweilige Funktionen in den Landesverbänden (Auszug):
DBV-Präsident = Ehrenpräsident Niedersachen
DBV-Vizepräsident Finanzen = Präsident LV NRW
DBV-Kampfricherobann = Präsident LV NRW(!)
DBV-Vizepräsident Leistungssport = Präsident LV Bayern
Der größte LV (NRW) besetzt gleich zwei wichtige DBV-Positionen mit seinem LV-Präsidenten in Personalunion: DBV-Vize-Präs. Finanzen und DBV-Kampfrichterobmann (Verbandsvorstand) = Präsident LV NRW
Jetzt kann man vielleicht sagen, ist doch okay, die haben eben die meisten Stimmen/Vereine oder die „Mehrheit bestimmt!“. So einfach ist es aber nicht und darf es auch nicht sein. In einem demokratischen System braucht es neben Stimmenzahlen auch eine Satzung („Verfassung“), d.h. ein Gesamtsystem, das auch die Minderheiten(!) am Geschehen effektiv partizipieren lässt und diese etwa vor Willkür schützt. Gut, es soll hier jetzt nicht alles allzu philosophisch betrachtet werden, deshalb vergessen wir kurz alles, was ich oben getippt habe und schauen uns einfach mal an, wie es andere olympische Sportarten innerhalb ihrer Bundesverbände mit der Demokratie und den Wahlstimmen so halten. Wie es fair zugehen kann zeigen nämlich die anderen großen olympische Bundesverbände vorbildlich! Dort gibt es fast ausschließlich, je nach Anzahl der Vereine in den zugehörigen LV, fair gestaffelte Stimmrechte. Zum Beispiel je nach Anzahl der Vereine 1 bis maximal 5 Stimmen pro Landesverband. Dadurch wird die Größe des Bundeslandes bei den Stimmrechten sinnvoll gewichtet und die „Kleinen“ können, vor allem wenn sie sich ein bisschen zusammentun, wesentlichen Einfluss auf wichtige Verbandsentscheidungen nehmen. Oder, wie es auch im hessischen LV geregelt ist: Jedes Mitglied, ob groß oder klein, ob arm oder reich, hat exakt nur 1 Stimmrecht!
Um es deutlich und vorweg zu sagen: Der DBV nimmt mit seinem Demokratieverständnis hier eine ziemlich exklusive Rolle ein (höflich formuliert). Ich habe mich durch zahlreiche Satzungen gewühlt und nirgends ein so „einfaches“ und gleichzeitig krasses und unfaires Konstrukt finden können. Im Folgenden eine kleine Auswahl an großen olympischen Sportverbänden und deren Stimm-/Wahlsysteme (jeweils Auszüge).
Deutschen Leichtathletik-Verband:
„Für je angefangene 5000 Mitglieder hat der LV eine Stimme.“
Schwimmverband:
„Ein Delegierter kann jedoch nicht mehr als zehn Stimmen auf sich vereinen.“, „Ordentliche Mitglieder haben je angefangener 1500 gemeldeter Vereinsmitglieder eine Stimme.“ … und: „Die Mitglieder des Präsidiums und die Vorsitzenden der Fachsparten haben je eine Stimme. Sie dürfen nicht gleichzeitig als Vertreter/Delegierte eines Landesverbandes am Verbandstag teilnehmen.“
Fechtverband:
„Die Beschlüsse des Deutschen Fechtertages werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst. …“.
Deutsche Taekwondo Union e.V.:
„… bis 30 gemeldeten Vereinen 1 Stimme, bis 70 gemeldeten Vereinen 2 Stimmen, bis 170 gemeldeten Vereinen 3 Stimmen, bis 300 gemeldeten Vereinen 4 Stimmen und über 300 gemeldeten Vereinen 5 Stimmen.“
Deutschen Triathlon Union e.V.:
„Das Stimmrecht ist wie folgt geregelt: jeder LV hat 4 Grundstimmen und pro angefangene 500 Mitglieder eine weitere Stimme.“
Deutscher Karateverband e.V.:
„Die Beschlussfassung erfolgt in allen Organen durch einfache Stimmenmehrheit, soweit diese Satzung nichts anderes bestimmt.“
Damit keine falschen Eindrücke entstehen: Die Arbeit des DBV ist im Ganzen grundsätzlich prima und ehrenwert und es sei insbesondere den vielen Ehrenamtlichen dort für ihr großes Engagement sehr gedankt!
Dennoch, die Frage, die sich jetzt stellen könnte, ist wichtig und lautet: Wie kann man solch ein in sich geschlossenes und ungerechtes System reformieren, gerechter machen, den anderen olympischen Sportverbänden annähern?
Aus eigener Einsicht und von innen heraus? Wäre schön und heldenhaft, aber schwer vorstellbar. Mehr Erfolg könnten Anregungen von außen haben, etwa seitens des Deutschen Olympischen Sportbundes, der Sportförderungen oder aus der politischen Ecke – und so zu einem basisdemokratischen System und damit zu mehr Leistung, Fairness und Wertschätzung im Deutschen Olympischen Boxsport führen.
Text: Hüseyin Demir
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Übersicht der DBV-Vereine/Boxabteilungen und Stimmrechte
(Stand 10/2017):
1. Nordrhein-Westfalen: 177
2. Bayern:114
3. Baden-Württemberg:108
4. Niedersachen: 81
5. Hessen: 69
6. Sachen: 47
7. Sachsen-Anhalt: 39
8. Brandenburg: 38
9. Hamburg: 33
10. Schleswig-Holstein: 33
11. Berlin: 30
12. Mecklenburg-Vorpom.: 30
13. Südwest: 21
14. Thüringen: 21
15. Rheinland: 15
16. Bremen: 10
17. Saarland: 8
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Gesamt: 874
Links zu den o.g. Satzungen:
http://www.box-sport-verband.de/wp-content/uploads/2017/11/Satzung-des-Deutschen-Boxsportsport-Verbandes-vom-25.02.2017-korrigi….pdf
http://www.fechten.org/fileadmin/user_upload/2016_Satzung.pdf
https://www.leichtathletik.de/fileadmin/user_upload/12_Service/Wettkampforganisation/01_Bestimmungen_Satzung_Vordrucke/DLV-Satzungen_Ordn/Satzung.pdf
https://dtu.ccmmss.de/wp-content/uploads/2016/04/1-Satzung.pdf
https://www.dtu-info.de/a/dateien/regelwerk-ordnungen/Ordnungen/DTU%20Satzung%202016%20final.pdf
http://www.dsv.de/fileadmin/dsv/documents/dsv/service/regelwerke/170328_DSV_Satzung_in_der_Fassung_vom_05_11_2016_eingetragen_am_21_03_2017.pdf
http://www.karate.de/downloads/send/8-ordnungen-satzungen/12-satzung-stand-10-11-2012